Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.
Genesis 2728
Liebe Schwestern und Brüder,
vielleicht empfindet ihr es auch so, dass der Juni ein wunderschöner Monat ist, voll Wärme, Licht und langen hellen Tagen. Überall wächst es und gleichzeitig kann man die ersten Früchte genießen, saftige Erdbeeren und süße Kirschen. Inmitten dieser Fülle an guten Dingen kann man dem diesjährigen Monatsspruch leicht Glauben schenken. „Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“ Ja, an leichten Frühsommertagen verblassen so manche Sorgen und man spürt leichter den Segen, der uns eigentlich jeden Tag umgibt. Gott schenkt uns so viel und das Leben kann neben den oft schweren Sorgen auch leicht, fröhlich und glücklich sein.
Mitten in diese positive Stimmung passt der schöne Segen aus dem Alten Testament, aus der Geschichte des Volkes Israel umso besser. Sicher wurde er auch daher als Monatsspruch für den Juni ausgewählt. Ein Spruch aus einer guten, alten Zeit. Einer Zeit, in der die Menschen mit der Natur lebten, nicht gegen sie und in der Mehl und Wein noch ein Geschenk des Himmels waren und nicht jederzeit im Regal des Supermarktes lagen. Sicher würden wir alle gern solchen großen Segen heute genießen und den Tau des Himmels und das Fett der Erde in unserer Mahlzeit schmecken können, tiefes Glück spüren, ohne zu fragen, ob unsere Lebensmittel nachhaltig, biologisch und ohne negative Folgen für Umwelt oder Mitmenschen erzeugt wurden und ohne über die Folgen des Alkoholgenusses nachdenken zu müssen.
„Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“ Mit diesen Worten segneten die Väter im alten Israel ihre erstgeborenen Söhne. Dadurch übertrugen sie nicht nur ihren weltlichen Besitz, sondern gaben auch ihren Glauben an die Erben weiter. Den Glauben an Gott, der die Familie erwählt hatte und dessen Segen Auserwähltsein, Glück, Reichtum und viele Nachkommen bedeutete. Ein Gott, der das ganze Volk segnen und zum Segen für die Erde machen würde. Wie gern würden auch wir unseren Glauben an Gott an die nächste Generation weitergeben. Wie gern würden wir unsere Freude an diesen alten Worten und Geschichten weitergeben, in denen sich Gott finden lässt. Wie gern würden wir den Segen weitergeben, der aus sehr alten Zeiten kommt und auch heute noch seine Kraft entfaltet, in unserem eigenen Leben getragen hat. Allein, wer will es noch hören? Altes Wissen kann viel wert sein. Das stellen viele jüngere Menschen immer wieder erstaunt fest.
Wie im alten Israel üblich, wollte also auch der alte Isaak, der sein Ende kommen sah, seinen ältesten Sohn Esau segnen. So stärkte er sich mit köstlichem Wild, das Esau für ihn gejagt und zubereitet hatte, und schenkte ihm aus vollem Herzen diesen Segen, der ihm Glück und Reichtum verhieß. Einen Segen, der ihn zu einem Teil von Gottes gutem Plan mit dieser Welt machte. Einen Segen aus einer guten alten Zeit, in der noch alles in Ordnung war. Aber war es das wirklich oder geben wir uns hier einer Illusion hin? Natürlich war nicht alles in Ordnung. Das Fleisch, das Isaak gegessen hat, war kein Wild, sondern Ziegenfleisch und der Sohn, den er gesegnet hatte, war nicht Esau, sondern der jüngere Bruder Jakob. Alles Betrug also.
Trotzdem entfaltete der Segen seine Kraft und wie so oft in der Bibel, anders als wir es erwartet hätten. Durch diesen erschlichenen Segen wird Jakob nämlich gezwungen, sein behagliches Zuhause, wo es Korn und Wein in Fülle gab, zu verlassen. Noch am selben Abend fand er sich allein in der Wüste wieder, auf der Flucht vor seinem wütenden Bruder. Erschöpft und verzweifelt schlief er ein und träumte von einem offenen Himmel, von einer Leiter, die zur Erde führte, von einem Gott, der ihn trotz seines Betruges segnete. Am Ende seines Weges sollte Jakob auch wirklich den Tau des Himmels und das Fett der Erde, auch Korn und Wein in Fülle erleben, aber bis dahin war es ein weiter Weg – durch Höhen und Tiefen eines langen, abenteuerlichen Lebens. Genau so, wie wir es an uns selbst erleben. Uns allen ist Gottes Segen zugesprochen worden, in der Taufe, bei der Konfirmation, vielleicht vor dem Traualtar oder am Sterbebett geliebter Menschen, die uns damit für unsere Reise stärken wollten. In jedem Gottesdienst erinnern wir uns daran, dass uns so viel geschenkt wird. Wir bekommen Gottes Segen zugesprochen. Nicht immer oder sogar nur selten spüren wir es allerdings so tief. Aber gerade nach Wüstenzeiten reicht ein warmer Junitag, ein leckerer Erdbeerkuchen, ein guter Wein, um sich bewusst zu werden, wie gesegnet Leben sein kann und wie dankbar und befreit man eigentlich durchs Leben gehen könnte. Sich dieses Gefühl, diese Grundhaltung jetzt im Juni anzueignen und für dunkle Zeiten aufzusparen, empfiehlt uns darum auch der große deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe:
„Auch das ist Kunst, ist Gottes Gabe,
aus ein paar sonnenhellen Tagen
sich soviel Licht ins Herz zu tragen,
dass, wenn der Sommer längst verweht,
das Leuchten immer noch besteht.“
In diesem Sinne wünscht einen glücklichen Juni
Chris Schönefeld