Jesus Christus spricht: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
Matthäus 16,15
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn man im Alltag den Satz „Wer glaubt ihr denn, dass ich bin?“ hört, dann ahnt man, dass das Gegenüber verärgert ist. Dieser Satz fällt nämlich meistens dann, wenn ein Elternteil erbost den Kindern wieder etwas hinterhertragen musste, der Partner nicht wertschätzend auf den Einsatz beim Haushaltsdienst reagierte, sondern es selbstverständlich nahm oder man die Arbeit des Kollegen erledigen musste. Neutral betrachtet fragt diese Floskel aber einfach nur nach der Definition einer Beziehung, einer Rolle. Welche Rolle spiele ich im Leben meines Gegenübers, was bedeute ich ihm, was erwartet er von mir? Als soziales Wesen ist es wichtig, dass solche Fragen beantwortet werden und man weiß, woran man ist. Ist man Vorgesetzter oder Untergebener, Diener oder geliebter Partner. Vielleicht ist es eines der vielfältigen Probleme und eine Herausforderung unserer Tage, dass viele nicht mehr genau wissen, wer sie sind und wie sie zu anderen stehen. Dass viele sich zu Herren über andere machen und man nicht mehr bereit ist, auch einmal zurückzutreten, dass die Frage „Wer glaubst ihr denn, dass ich bin“ eher erbost und verärgert mit „Ich bin doch nicht Euer Diener!“ beantwortet wird und nicht mit einem geduldigen und ruhigen „Euer Freund“.
Wir spielen gegenseitig verschiedene Rollen im Leben voneinander und im Laufe unseres Lebens ändern die sich auch. Vielleicht passt auch deshalb der Spruch so gut zum September. Der September ist eine Art Übergangszeit vom erholsamen Sommer zum stürmischen Herbst, von den Ferien zurück in den Alltag oder vielleicht sogar in den neuen Berufs- oder Studienalltag. Oft ist der 01.09. Ausbildungsstart. Beginne ich eine Ausbildung oder ein Studium, so verändert sich meine Beziehung zu meinen Mitmenschen deutlich. Man löst sich von der finanziellen Abhängigkeit der Eltern, zieht in die erste eigene Wohnung. Bisherige Lehrer werden zu gewöhnlichen Erwachsenen, später vielleicht zu Kollegen oder Klienten, Patienten, Kunden – je nachdem, welchen Beruf man ergreift. Beziehungen zu unseren Mitmenschen ändern sich und es ist eine lebenslange, ständig wiederkehrende Aufgabe, zu klären, wie man zu einander steht. Oft ist es instinktiv klar, manchmal muss man es direkt ansprechen.
Wenn Jesus seine Jünger also in unserem Monatsspruch für September fragt, wer er für sie sei, dann möchte auch er wissen, woran er bei ihnen ist und ob sie überhaupt verstehen, in welcher Beziehung sie zu einander stehen. Auch für uns als Christen heute ist die Frage entscheidend. Wer ist Jesus für mich, für wen halte ich ihn? Ist er Gottes Sohn, der für mich gestorben ist oder sehe ich in ihn nur einen vorbildhaften Menschen, der vor vielen Jahren lebte und sich sozial engagierte? Halte ich ihn für meinen Bruder im Glauben oder meinen Herrn und Meister?
Allein die Anreden, die man in einem normalen Gottesdienst benutzt, sind da auf den ersten Blick widersprüchlich. Wir nennen in Gebeten und Lieder Jesus mal Bruder und mal Herr. Kann aber ein Bruder gleichzeitig mein Herr sein?
Je nachdem, wie ich die Frage, wer Jesus für mich ist, beantworte, hat das Konsequenzen. Ist Jesus für mich Gottes Sohn, der meine Seele durch seinen qualvollen Tod am Kreuz gerettet hat, dann bringe ich eine andere Wertschätzung oder sogar Verehrung entgegen, als sähe ich in ihm einen Bruder, mit dem ich auch mal über Kreuz liegen kann. Geschwister streiten gern mal. Streit mit einem Vorgesetzten (um ein moderneres Wort für Herr zu verwenden) wird man vermeiden wollen. Entscheidungen des Chefs kann man in Zweifel ziehen, einen Lebensretter hinterfragt man in der Regel nicht. Man ist ihm dankbar. Jemand, der mir dauernd gute Ratschläge gibt, wie ich mein Leben gestalten soll, der mich zu Nächsten- und sogar Feindesliebe anhalten will, dem bin ich hingegen nicht dankbar ob seiner guten Ratschläge, sondern belächle ich ob seiner Naivität in unserer Welt oder wende mich gar genervt von ihm. Wer lässt sich schon gern im Leben etwas vorschreiben?
Vielleicht bedeutet Jesus für die allermeisten von uns hier in Europa nichts mehr. Er ist nur noch ein Mensch, der vor 2.000 Jahren lebte und als Sozialreformer auftrat. Vorbildhaft, aber irgendwie auch weit weg. Eine persönliche Beziehung zu ihm, ist nicht wirklich vorstellbar.
Stellvertretend für Jesu Jünger, an die die Frage damals zuerst gerichtet war, antwortete Petrus: „Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ So etwas zu sagen, käme heute wohl kaum über die Lippen. Natürlich ist es trotzdem richtig. Petrus hat nämlich genau das gesagt, was Jesus gehofft hatte. Der Schüler hatte verstanden, was der Lehrer ihm beizubringen versuchte. Ein gutes Gefühl. Auch wohltuend, etwas positives und nicht die befürchtete trotzige oder vielleicht zweifelnde Antwort, die wir vielleicht auf solche Fragen gegeben hätten. Der Frage ging, wie der eingangs beschriebenen Situation in der Regel auch, ein Disput voraus. Die Schriftgelehrten der damaligen Zeit wollten Jesus eine Falle stellen und stellten in Frage, dass er Gottes Sohn sei. Dass Gegner so etwas tun und keine große Wertschätzung an den Tag legen, ist klar, erwartbar. Aber von seinen Anhängern, seinen Freunden, seiner Familienangehörigen erwartet man natürlich, dass sie hinter einem stehen. Umso schmerzhafter wäre es gewesen, hätte Petrus anders geantwortet. Umso schmerzhafter muss es für Jesus sein, dass wir Christen heute oft nicht mehr so selbstverständlich bekennen, dass er Sohn des lebendigen Gottes ist.
Wer also ist Jesus für Sie und Euch? Vielleicht findet ihr, finden Sie im September Zeit, einmal darüber nachzudenken. Gute Gedanken und einen schönen Herbstanfang!
Chris Schönefeld