Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.“
Lukas 2, 30-31
Liebe Schwestern und Brüder,
nun feiern wir bald wieder Weihnachten. Weihnachten ist die Zeit der großen Worte und Gefühle. Man wünscht sich Liebe, Frieden, Freude. Es ist auch das Fest der Traditionen und der Familie, beladen mit Erwartungen und Hoffnungen. Natürlich löst das nahende Fest nicht bei jedem Menschen Begeisterung aus – je nach konkreter Lebenssituation, Erfahrungen und Erwartungshaltung können auch Frust oder Unbehagen angesichts der verordneten Harmonie entstehen. Aber selbst freudige Erwartung wird bei vielen oft vom berühmten Vorweihnachts- und Weihnachtsstress abgelöst. Daneben mischen sich trotz aller Besinnlichkeit auch die üblichen Alltagssorgen und die leider meist beunruhigenden Nachrichten aus aller Welt in die nach Frieden und Gerechtigkeit strebende Weihnachtszeit.
So sehr wir uns zumindest an Weihnachten eine heile Welt wünschen und uns mit Backen, Dekorieren, Weihnachtsmarktbesuchen oder Märchenfilmen abzulenken versuchen – unsere Welt, ob im Großen oder Kleinen, scheint an manchen Tagen heillos. Da wirkt die Losung für den Dezember wie ein Gegengift, ein Heilmittel. Sie entstammt dem Lobgesang des Simeon, der in dem Kind von Maria und Josef den Retter Israels und der ganzen Welt erkannte. Simeon hätte allen Grund gehabt, verbittert, frustriert und gleichgültig zu sein, denn beim Warten auf den Messias, auf den das ganze Volk Israels hoffte, ist er alt und grau geworden. Es hat lange gedauert, viel Geduld war gefragt. Geduld – etwas, was auch wir heute nur selten haben. Aber Simeon hat durchgehalten – mit einer ausdauernden Hoffnung und inneren Stärke. Das ist ihm nicht von sich aus gelungen, sondern durch den Geist Gottes, auf den er vertraut hat. Leider haben viele von uns dieses Vertrauen verloren. Zum Glück können wir es aber wiederfinden. Die Weihnachtszeit bietet die beste Gelegenheit dafür, denn unsere Herzen öffnen sich durch eine Jahrtausende alte Botschaft.
Simeons Erwartung wurde am Ende seines Lebens belohnt, seine Hoffnung erfüllt. Die Begegnung mit Jesus, einem kleinen Kind, ist der Höhepunkt seines Lebens. Es lässt ihn zufrieden und lebenssatt sterben. Dabei kann er doch gar nicht wissen, dass dieses Kind später einmal die Welt erlösen sollte und nach Verkündigung seiner Botschaft für uns alle sterben und später auferstehen sollte. Was also lässt ihn trotzdem so glücklich sein? Ist es die Begegnung mit neuem Leben? Jedes neue Leben erfrischt uns, macht Hoffnung auf eine Zukunft, schenkt neues Vertrauen, ist ein kleines Wunder. Ist es das, was Simeon spürt und ihn so erfüllt?
Für uns Christen, aber auch für Simeon ist die Geburt des Kindlein natürlich noch mehr. Wir feiern den Geburtstag dessen, der unser Heiland ist.
Eine Art Arzt, der uns ganz macht, wo wir innerlich zerbrochen sind, der uns gesund pflegt, wo wir in Herz und Seele vergiftet sind. Der Retter, der uns aus Traurigkeit und Perspektivlosigkeit herauszieht. Der Tröster, der die negativen Einflüsterungen durch seine gute Botschaft der Barmherzigkeit übertönt. Aber nicht nur jedem Einzelnen, sondern uns allen ist das versprochen. Simeon hat glücklich festgestellt, dass dieses Kind das Heil für alle Völker sei. Wie sehr würde man es den von Krieg zermürbten Völkern dieser Welt wünschen, dass sie das wieder erkennen. Den Ukrainern und Russen, den Palästinensern und Israelis, aber auch unserem zerrissenen Volk, in dem es leider so viel Verbitterung und Wut gibt und man scheinbar keinen konstruktiven Weg mehr zueinander und miteinander findet. Immer nur auf Krawall gebürstet, das Schlechte im anderen vermutend, das Herz voll Misstrauen. Wie gut täte es, würde das überwunden werden können. Liebe, Frieden, Freude und all die anderen großen Weihnachtshoffnungen und -wünsche haben ihre Berechtigung vor allem darin, dass mit der Geburt von Jesus ein lang erwartetes Versprechen erfüllt wird. Geduld, manchmal ein lebenslanges Warten, wird belohnt. Das zeigt uns die Lebensgeschichte von Simeon.
Oft hält die Weihnachtsfreude aber nicht lange an. In diesem Jahr scheinbar eine Woche weniger, da der Heiligabend zugleich der vierte Advent ist. Danach ist schnell wieder alles aufgeräumt – die Dekoration, aber auch unser Inneres richtet sich wieder auf das neue Jahr aus. Für viele beginnt spätestens am 6. Januar der Alltag und die Weihnachtsfreude verschwindet, Konflikte erwachen erneut. Was kann man tun, damit zu mindestens im eigenen Umfeld, in einem selbst, die frohe Botschaft von Weihnachten überlebt?
Es ist gut, sich im Advent und auch zu Weihnachten nicht nur oberflächlich mit der schönen Atmosphäre zu beruhigen, sondern wie Simeon aktiv die Begegnung mit dem Kind in der Krippe, mit dem lebendigen Heiland, zu suchen. Es tut gut, zumindest jetzt einmal den Lebensweg dieses kleinen verletzlichen Kindes nachzufolgen, in seiner Entwicklung die eigene und in seinen Geschichten auch eigene Erfahrungen wiederzukennen und von ihm zu lernen, trotz aller Enttäuschung, trotz eigenem Leiden mit einem barmherzigen Blick aufeinander zuzugehen, einander zu verzeihen. Es mag belächelt werden, aber Bibellesen, Beten und die Gemeinschaft mit anderen „Weihnachtssuchenden“ kann helfen, nicht an der Welt mit ihren Ungerechtigkeiten zu verzweifeln, sondern neues Vertrauen zu lernen. Viele Weihnachtslieder haben einen mutmachenden Text und eine fröhliche Melodie, die unsere Füße und unser Herz jetzt auf den richtigen Weg lenken können, wenn wir es zulassen.
In diesem Sinne wünscht Euch und Ihnen eine schöne Adventszeit, ein gesegnetes Weihnachtfest und einen behüteten Jahreswechsel
Chris Schönefeld im Namen des Lektorenteams und der Kirchgemeinden